"Lebenslang dauert Lebenslang" - Ein Azubiprojekt mit Tiefgang

Lüsterne Blicke, schlüpfrige Sprüche, unangenehme Berührungen südlich der Gürtellinie: Sexuelle Belästigung ist leider allgegenwärtig, ob in der Schule, beim Sport oder sogar am Arbeitsplatz. Jedes fünfte Mädchen und jeder siebte Junge wird Opfer von sexuellem Missbrauch. Im Durchschnitt muss ein Kind sieben Mal davon erzählen, bis man ihm glaubt. Ja genau, sieben(!) Mal! Sie haben richtig gelesen. Eine erschreckende Statistik, genauso fassungslos waren wir auch…

Aber erstmal alles auf Anfang. Wer ist „wir“? „Wir“, das sind: Niklas Richter, Andreas Stocker und ich, Dominik Gutbrod. Drei junge Erwachsene, die bei der silberstern Filmproduktion eine Ausbildung zum Mediengestalter Bild und Ton absolvieren.

Die Aufgabenstellung bei diesem Projekt sah folgendermaßen aus: „Fertigt einen Film, von Konzeption bis Postproduktion, für den Verein „Lebenslang e.V." an, dessen Kommunikationsziel sein soll, auf die Arbeit des Vereins hinzuweisen. Dabei muss die Allgegenwärtigkeit des Themas sexueller Missbrauchs deutlich werden“. Das Projekt war als Benefizprojekt ausgelegt und wurde komplett in die Hände von uns Azubis gelegt. Bei aufkommenden Fragen und Problemen standen natürlich jederzeit alle Spezialisten aus dem Unternehmen zur Seite.

Der gemeinnützige Verein „Lebenslang e.V.“ setzt sich seit 2014 für die Aufklärung ein. Er veranstaltet Workshops an Schulen, bei denen, unter anderem mittels Virtual Reality, die Schüler für das Thema sensibilisiert werden.

Nun stellt sich die Frage: Wie geht man so ein Projekt an? Wie erzeugt man im Zuschauer eine Sensibilisierung für das Thema und gleichzeitig den Impuls, sich bei Bedarf an den Verein Lebenslang zu wenden?

Hier folgt das 1x1 des Filmemachens im Schnelldurchlauf:

1.      Ein Konzept erarbeiten, das das Kommunikationsziel erreicht
2.      Einen oder mehrere Drehorte finden
3.      Schauspieler und eventuelle Statisten suchen
4.      Terminliche Koordination mit allen beteiligten Parteien
5.      Drehequipment einsatzfähig machen
6.      Den Dreh durchführen
7.      Das aufgenommene Rohmaterial im Schnitt zum fertigen Film weiterverarbeiten

Ich möchte in diesem Blog keine Step-by-Step-Anleitung notieren, sondern eher auf aufkommende Probleme und auf das daraus resultierende Learning eingehen.

Die erste Hürde bestand darin, passende Drehorte zu finden. Insgesamt fünf Locations wurden benötigt, um das Konzept zu realisieren. Die ersten vier Drehorte waren schnell gefunden. Ein wirklich großes Problem war es, einen schmalen, düsteren und gefühlt unendlich langen Gang mit mindestens drei Türen aufzutreiben. Wochenlang waren wir auf der Suche nach eben dieser Location. Das war kompliziert, denn in unseren Köpfen und unserer Fantasie wussten wir genau, wie die Location auszusehen hat. Eine solche Location, die auch Platz für die Schauspieler und Filmcrew bietet, im realen Leben zu finden - schwierig. Nach einem heißen Tipp unserer Chefin konnten wir diesen Drehort endlich von der Liste abhaken. 

^{Das lang gesuchte Filmset "Gang mit mehreren Türen"}

Ruft man sich das Thema des Films ins Gedächtnis, kommt man sehr schnell zum nächsten großen Problem, nämlich die Schauspieler- und Statistensuche. Dass sexueller Missbrauch und vor allem die Prävention ein sehr wichtiges Thema in unserer Gesellschaft ist, ist bekannt. Jedoch in einem Film darüber mit seinem eigenen Gesicht aufzutauchen ist eine ganz andere Sache. Schnell kommen einem begründete Zweifel in den Kopf: „Ich möchte nicht damit in Verbindung gebracht werden!“ „Gehen die auch professionell mit dem Thema um?“ „Nicht, dass ich als Vergewaltiger dargestellt werde.“  usw.

^{Dominik beim Einstellen des Beamers für die Flashback-Szenen}

Die Tatsache, dass für das Konzept eine minderjährige Protagonistin essenziell war, hat die ganze Sache nicht unbedingt einfacher gemacht, eher im Gegenteil. Wir suchten den Kontakt zu einer bekannten Kemptener Improvisationsgruppe, mit denen wir in der Vergangenheit schon tolle Projekte realisieren konnten, den WendeJacken.

Für die WendeJacken war sehr schnell klar, uns bei der Realisierung zu unterstützen. In ihren Improvisationskursen für Jugendliche fragten sie an, ob jemand interessiert wäre. Nun kommen wieder die oben bereits erwähnten Zweifel ins Spiel. Beide Elternteile müssen ihr Einverständnis geben, um es ihrem Kind zu ermöglichen vor die Kamera zu treten. Einige Elternteile waren sich der gesellschaftlichen Relevanz eines solchen Films durchaus bewusst, den letzten Schritt, seinem Kind die Mitarbeit an diesem Projekt zu erlauben, wollte aber zunächst niemand gehen.

^{Andreas mit Regieanweisungen für Regina (Hauptrolle)}  

Abseits der rechtlichen Aspekte war es auch noch wichtig, ein Kind mit einem schauspielerischen Talent zu finden, das in der Lage ist, die Rolle eines vom Missbrauch betroffenen Kindes zu spielen. Schlussendlich gab es eine junge, talentierte Nachwuchsschauspielerin, die auf alle bereits erwähnten Schlüsselkriterien passte und somit die Rolle der weiblichen Protagonistin ganz hervorragend ausfüllte. Nach einem Erstgespräch mit Mutter und Schauspielerin konnten aufkommende Zweifel aus dem Weg geräumt werden.

^{Niklas am Zweihand-Gimbal}

Für die anstehenden Dreharbeiten war uns sehr wichtig, dass bei so einem unangenehmen Thema das Wohl des Kindes im Vordergrund steht. Durch einen sympathischen und professionellen Umgang am Set konnten wir dieses Ziel erreichen. Die Statistensuche konnte mit tatkräftiger Unterstützung von etlichen Freunden und Familie gemeistert werden.

^{Drehschluss! Team und Komparsen geschafft, aber zufrieden}

Die eigentliche Arbeit, Dreh und Postproduktion, nahm zwar ordentlich Zeit in Anspruch, lief aber verhältnismäßig glatt. Wie viel Zeit in diese Phase investiert wird, kann nur der ermessen, der an einer solchen Produktion einmal beteiligt war. Schließlich wollten wir ja nicht irgendeinen Film abliefern, sondern etwas sehr Spezielles.

Unser Fazit:

Schlussendlich bleibt zu sagen, dass es gar nicht so einfach ist, einen Film von Anfang bis Ende zu realisieren. Die Organisation und das Management drum herum rücken leider im Auge der Öffentlichkeit viel zu sehr in den Hintergrund, da bei den meisten Filmen lediglich die Aufnahmen und der Schnitt gewürdigt werden. Dieses Projekt hatte sehr viele schöne Seiten, jedoch auch viele anstrengende und frustreiche Etappen. In meinem persönlichen Empfinden bin ich aber dankbar für jede positive, mehr noch für jede negative Erfahrung, die das Projekt uns beschert hat. Man lernt aus Fehlern einfach viel mehr, als wenn alles glatt läuft. Der Film für den Verein Lebenslang e.V. hat uns drei Azubis zu erfahreneren und besseren Filmemachern gemacht.

Eure silberstern-Azubis

Und nun viel Spaß beim Anschauen.

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^{Benefizprojekt 2019/2020 Projekt-Lebenslang e.V.}